Unterwegs mit einem Forschungsschiff

Die Walter Herwig in der Ostsee

(abk) Es ist 06.00 Uhr, Sonnenaufgang auf Position 57°47’79 N und 11°34’89 E. Hier befindet sich zur Zeit das Fischereiforschungsschiff WALTER HERWIG, und es ist meine erste Fahrt als Kapitänin auf der Brücke, auf der sich außer mir nur noch der Navigator Reinhard befindet. Ein tückischer Magen-Darm-Virus hat Steuermann und Funker außer Gefecht gesetzt, so daß wir beide alleine hier oben klar kommen müssen.

Die WALTER HERWIG ist 83 m lang, 14 m breit und hat 4,20 m Tiefgang, ihre Höchstgeschwindigkeit beträgt 13,4 kn. Und mit fast dieser Geschwindigkeit, nämlich mit 12 Knoten, sind wir unterwegs Richtung Göteborg, denn dort wollen unsere Wissenschaftler an Bord gerne ein spätes Frühstück einnehmen – es sind eben Landratten und sie werden froh sein, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.

 

Weit voraus kommt schon der Leuchtturm Trubaduren in Sicht, der erste Ansteuerungspunkt für uns bei der Einfahrt nach Göteborg. Und bei schönstem Wetter steuern wir im freien Wasser dorthin, um ihn in knapp einer Seemeile Entfernung an Backbord liegen zu lassen und dann Kurs 70° Richtung Göteborg zu nehmen. Entgegen kommt uns die  MAERSK SVENDBORG, ein blauer Containerdampfer, der möglicherweise durch meine etwas eigenwillige Fahrweise (ich liebe es nun einmal, meinen Namen ins Kielwasser zu schreiben) etwas irritiert ist. Aber die Situation geht ohne böse Funksprüche klar. Weit an Steuerbord sehen wir grüne Inseln liegen, vorgelagert kleinere Schären mit Flechten überzogen.

Plötzlich macht mich der Navigator auf ein orangerotes Notsignal Backbord voraus aufmerksam. Da unser Funker ja ausgefallen ist, meldet er das mit ungefährer Position an Bremen Rescue. Wir selber können dort nicht hin, es ist weit weg und einfach zu flach für uns, aber Bremen Rescue übernimmt den Fall, und der Rettungskreuzer aus Göteborg ist bestimmt schneller da.

Der Navtex-Empfänger spuckt eine Sturmwarnung aus. Ziemlich kurzfristig, denn Backbord voraus ziehen schon die schwarzen Wolken auf, und dann ist es urplötzlich da, das Gewitter. Regen, hohe Wellen und alles was dazugehört, bis hin zu Schneegestöber, klatschen auf unsere Brücke, aber die Scheiben bleiben frei – Superversiegelung sei dank. Wir nehmen etwas Fahrt aus dem Schiff und versuchen, beizuliegen – aber so einfach ist das nicht, wir kommen gewaltig ins Schlingern und nehmen auch Wasser über. Unangenehm, an Backbord lauern Untiefen, und wir sind am rechten Rand des Fahrwassers in der Nähe der Steuerbordtonne. Das Radargerät kündigt denn auch eine bevorstehende Kollision an.

Aber das geht gerade noch mal gut, und auch das Wetter beruhigt sich wieder, die Sicht wird besser und wir ändern den Kurs auf 85°. Anscheinend hat es jetzt auch noch den Steward erwischt, denn wir vermissen  unseren 7-Uhr-Kaffee. Auf den Anruf in der Kombüse reagiert niemand, und da wir ohne Lotsen fahren, kann auch keiner von uns die Brücke verlassen. Für den Autopilot liegen hier zu viele Steine im Weg herum. Dann eben keinen Kaffee!

Wir nehmen das südliche Fahrwasser Richtung Göteborg und passieren an Steuerbord die Inseln Galtero, Branno und Rivo. Wunderschöne Landschaften, weit voraus ist die Fähre in Sicht, als wir auf einmal einen Ruck verspüren und leichte Schlagseite nach Steuerbord bekommen. Aufgelaufen! Aber wo und wieso eigentlich, hier ist es doch überall tief genug? Die Kontrolle auf dem GPS-Empfänger bestätigt noch einmal unsere Position, und Karte sowie ECDIS (electronic chart display information system) bestätigen, daß es hier tief genug sein sollte. Wir haben vor kurzem einen Container halb eingetaucht treiben sehen, sollte der uns getroffen haben? Aber er war weit weg, um uns zu erreichen hätte er schon einen Unterwasserraketenantrieb haben müssen!

Was nun? Bremen Rescue anfunken?

Nein, nicht nötig. Das Schiff richtet sich wieder auf und reagiert auch wieder aufs Ruder, wir können wieder Fahrt aufnehmen und gehen wieder auf Kurs. Wie war das noch mit den russischen Unterseebooten in schwedischen Schären? Auf jeden Fall war das Ganze sehr unheimlich!
 

Nun bekommen auch wir Frühstückshunger, es ist 08.00 Uhr und eigentlich sollte nun die Ablösung kommen – aber – der Magen-Darm-Virus! Wir fahren also weiter, nun ist es ja nicht mehr allzu weit bis in den Hafen. Und spätestens dort bekommen wir auch was zu essen! Merkwürdigerweise ist es auf dem ganzen Schiff sehr ruhig, auch auf dem Arbeitsdeck ist niemand zu sehen. Na, die Wissenschaftler packen wohl schon ihre Sachen ein.

Das Fahrwasser wird enger, wir haben Göteborg schon fast erreicht und passieren auf der Backbordseite die Industrieanlagen von Arendal und Skarvik. An Steuerbord überholt uns der deutsche Rettungskreuzer THEO FISCHER. Was hat der hier in Schweden zu suchen? Aber egal, auch wir ändern unseren Kurs auf  83° und fahren bedächtig hinter ihm her. Dabei sehen wir weit achteraus auf Steuerbordseite ein brennendes Schiff. Eine Pan-Pan-Meldung oder sonstigen Funkverkehr haben wir aber nicht mitbekommen.

Plötzlich läuft das Schiff unkontrolliert aus dem Ruder! Wir haben wieder mehr Seegang, sollte der Propeller ausgetaucht sein? Aber so schlimm ist es doch eigentlich auch nicht. Natürlich meldet sich der Maschinenraum nicht, warum eigentlich auch. Wir bringen das Schiff zum Stillstand und treiben, als doch noch der Maschinist Thomas  auftaucht. Er versichert, das Problem in Kürze gelöst zu haben – und richtig, kurz bevor wir aus dem Fahrwasser treiben, tut es die Maschine wieder. Zum Glück hatten wir keinen Schiffsverkehr in unmittelbarer Nähe!

Wir fahren in die Göta Älv ein und auf der Backbordseite näheren wir uns dem hohen Portalkran der ehemaligen Eriksberg-Werft, der schon weithin sichtbar war. Inzwischen ist dort ein Wohngebiet entstanden und der Portalkran wird als Aussichtspunkt sowie zum Bungeespringen über dem alten Hafenbecken genutzt.

So langsam wird es Zeit, uns bei Göteborg Port Control anzumelden, und von dort bekommen wir unseren Liegeplatz: 209. Der ist auf Steuerbordseite des Hafenkanals, unmittelbar vor einer Brücke. Aber bis dahin müssen wir noch eine Weile durch den langen Hafenschlauch fahren, der zum Glück ausgezeichnet betonnt ist. Entgegen kommt jetzt die Fähre nach Kiel, wir passieren uns in kurzem Abstand, aber grüßen kann der Kapitän da drüben nicht!

Wir erreichen das Schwimmdock der Göta-Werft, das wir in achtungsvollem Abstand passieren. Wie leicht kann aus der Abdeckung etwas auftauchen! Aber das geht gut, und dann haben wir auch schon die Brücke in Sicht, vor der wir anlegen sollen. Die Wassertiefe dort ist mit 3,50 m angegeben und wir haben 4,20 m – aber Göteborg Port meinte ja, daß das passt, die haben ja auch oft aktuellere Messungen vorliegen als in der Karte sind, da vertrauen wir mal.

Während wir den Liegeplatz ansteuern, kommt der Rettungskreuzer HANS HACKMACK völlig unkontrolliert aus einem Hafenbecken herausgeschossen. Ja haben wir hier denn ein Treffen der deutschen Seenotretter? Er schlägt Kapriolen vor unserem Bug, verfolgt von THEO FISCHER, der ebenfalls kreuz und quer durch den Hafen saust. Aber das beeindruckt mich ja gar nicht, wir sind größer und WIR WOLLEN JETZT ANLEGEN! Also Fahrt aus dem Schiff, Bugstrahlruder rein und gaaaaanz langsam ran an die Pier!

Tja – gaaaanz langsam – macht es knirsch. Wir sitzen! Von wegen tief genug, Göteborg Port! Auf unseren Funkanruf hin wird der Hafenkapitän auch ziemlich kleinlaut und weist uns einen neuen Liegeplatz zu. Aber dafür müssen wir hier erstmal wieder raus. Das Angebot des Hafenkapitäns, uns einen Schlepper zu schicken, haben wir abgelehnt - sollen wir hier stundenlang warten? Also Ruder mittschiffs und volle Kraft zurück! Hinter uns wartet das Forschungsschiff METEOR, aber zum Glück in respektvollem Abstand. Die brauchen das Auflaufen nun nicht mehr zu üben, die sind gewarnt! Wir rutschen so langsam wieder vom Sand runter, als auf einmal sämtliche Systeme versagen. Was nun?

Reinhard und ich sehen uns an und beschließen, uns das ganze mal von draußen anzusehen. Wir öffnen die Tür der Brückennock............................

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